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Oft bilden Narzissten ein falsches Selbst aus

Man geht davon aus, dass es bei der Entstehung von narzisstischen Persönlichkeitsstörungen erbliche und umweltbedingte Faktoren gibt, die zusammenwirken. Turid Müller stellt fest: „Beim Auftreten der Krankheit gibt es familiäre Häufungen. Das deutet darauf hin, dass die Gene eine Rolle spielen. Stärker sind aber wohl Umweltfaktoren in der Kindheit, welche die Entstehung einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung begünstigen können.“ Zum Beispiel kalte oder narzisstische Eltern, Vernachlässigung, mangelnde oder inadäquate elterliche Spiegelung, Verstrickung, Verwöhnung oder übermäßige Bewunderung. Dazu kommen die frühe Übernahme der Eltern- bzw. Erwachsenen-Rolle, Missbrauch und andere Traumata. Diese Umwelteinflüsse sind aber keine Garantie dafür, eine narzisstische Persönlichkeitsstörung zu entwickeln. Andere Menschen mit ähnlichen Voraussetzungen entwickeln andere Störungen oder bleiben relativ unversehrt. Eine Gemeinsamkeit der Betroffenen scheint zu sein, dass alle in prägenden Phasen nicht um ihrer selbst willen geliebt wurden. Turid Müller ist Diplom-Psychologin und ausgebildete Schauspielerin.

Das Selbstbild eines Narzissten ist makellos oder mickrig

Wenn überhaupt, liebte man sie nur für das, was sie für jemanden tun konnten. Nämlich Leistungen erbringen und der Familienstolz sein, als Mädchen zum eigentlich geplanten Jungen mutieren oder als Kuscheltier und Kummerkasten für die einsame Mama fungieren. Turid Müller weiß: „So bilden sich ein falsches Selbst aus und verbergen ihr wahres – auch vor sich. Was auch immer die Auslöser sind – die Folgen sind ein gestörtes Selbstwertgefühl und Probleme dabei, dieses zu regulieren.“

Narzisstische Menschen haben zwei extreme Selbstbilder ausgeprägt – ein makelloses und ein mickriges –, zwischen denen sie hin- und herpendeln. Wie sie sich gerade sehen, ist von ihren Lebensumständen und den Reaktionen ihrer Umwelt abhängig. Alle Manipulationen und Projektionen sind Versuche, sich als fehlerfrei und besonders zu sehen. Denn die Alternative wäre unerträglich beschämend und würde zu Minderwertigkeitsdepressionen und Selbsthass führen.

Narzissten sind selbst verletzte Seelen

Turid Müller erläutert: „Vulnerabler und grandioser Narzissmus stellen zwei verschiedene Tendenzen dar, mit der empfundenen Scham umzugehen. Beim grandiosen Narzissmus gelingt es, die Maske des falschen Selbst aufrechtzuerhalten, um die Minderwertigkeitsgefühle abzuwehren. Wo dies nicht möglich ist, steht die vulnerable Seite im Vordergrund.“ Menschen mit narzisstischen Störungen sind also selbst verletzte Seelen. Trotzdem ist das natürlich kein Freifahrtschein für missbräuchliches Verhalten.

Es gibt unterschiedliche Einschätzungen dazu, wie gut Menschen mit Narzissmus auf eine Therapie ansprechen. Manche kommen zu der Einschätzung, dass es eine der am schwersten behandelbaren Störungen ist. Turid Müller fügt hinzu: „Wenn es sich um eine Persönlichkeitsstörung handelt, wird man die tiefe Grundlage nicht vollends verändern können, doch das Verhalten ist zum Teil modifizierbar.“ Wie gut das gelingt, ist unterschiedlich. Möglichkeiten zur Veränderung gibt es wohl vor allem für die – leider äußerst kleine – Gruppe derer, welche die Fähigkeit zur Selbstreflexion haben. Quelle: „Verdeckter Narzissmus“ von Turid Müller

Von Hans Klumbies

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