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Viele Eltern bieten ihren Kindern keine Orientierung

Martina Leibovici-Mühlberger konzentriert sich in ihrem Buch „Wenn die Tyrannenkinder erwachsen werden“ auf die Misere vieler Kinder, die von ihren Eltern verkauft, instrumentalisiert, betrogen und in der sensiblen Zeit des Aufwachens und der Orientierungssuche einfach im Stich gelassen wurden. Die meisten Menschen wollen heute frei leben, absolut frei, und ja keine Zwänge oder irgendetwas, das ihre Freiheit beschränken könnte, akzeptieren. Jeder will in sein Mickymaus-Leben hineinpacken, was ihm gerade gefällt, und es natürlich auch jederzeit wieder verändern, wenn eine Durststrecke droht und das Gewählte sich vielleicht als mühevoll herausstellt. Sonst wären sie ja blöderweise nicht mehr frei. Die Ärztin Martina Leibovici-Mühlberger leitet die ARGE Erziehungsberatung und Fortbildung GmbH, ein Ausbildungs-, Beratungs- und Forschungsinstitut mit sozialpsychologischem Fokus auf Jugend und Familie.

Wahlfreiheit muss Wahlverantwortung mit einschließen

Martina Leibovici-Mühlberger warnt: „Wenn das wundervolle Privileg der Wahlfreiheit nicht auch eine entsprechend ernsthafte Wahlverantwortung mit einschließt, entsteht daraus Beliebigkeit mit all ihren fatalen Konsequenzen.“ Gleich neben der Fürstin „Freiheit“ finden sich die besten Freundinnen „die Potentialentfaltung“ und „die Individualität“, praktisch unzertrennlich, die ein heute die Steigbügelhalterin der anderen. Das sie bisweilen auch schrill daherkommen können, tut ihrer Popularität nicht im Geringsten Abbruch.

Kein Extrem wird hier ausgelassen, egal, ob es um Körperschmuck, Haartracht, skurrile Hobbys oder das Zusammenleben mit Alligatoren geht. Hauptsache, man fällt auf. In dieser Siegerpose des unverwechselbaren Individualisten, der sein Potential voll ausschöpft und sein Leben nach eigenem Dafürhalten inszeniert, sehen sich viele Menschen heute gerne. Sie sehen sich überhaupt äußerst gerne und beschäftigen sich am liebsten mit „Postings“ in der ornamentalen Bilderkultur von Facebook und andern Social Media Plattformen.

Narzissten sind zu echter Hingabe und Liebe nicht mehr fähig

Martina Leibovici-Mühlberger fügt hinzu: „Jeder sein eigenes Kunstwerk, eine Selbstinstallation „in progress“, denn Selbstbespiegelung wärmt und tut gut. In einer Zeit, in der das Bekenntnis zum Egoismus als ehrliches Outing unserer angeblichen Natur schicke Partygängigkeit verspricht, gehört es als Grundhaltung einfach dazu.“ Ein wenig infantil mutet diese Selbstverliebtheit in die eigene Größe allerdings schon an, bisweilen sogar etwas verzweifelt. Nämlich dort, wo das Bedürfnis nach Originalität bizarre Formen anzunehmen droht, indem man als Bilderstürmer der letzten Tabus unterwegs ist, um damit die ersehnte Aufmerksamkeit zu gewinnen.

Das Bedürfnis, in dieser so beängstigend freien Gesellschaft, die gleichzeitig immer engere Kontrollmechanismen als Gegenbalance einzuziehen versucht, seine Originalität zu begründen und etwas Besonderes zu sein, um endlich einen festen Punkt zu finden, ist enorm. Marina Leibovici-Mühlberger erklärt: „Gesehen werden ist alles! Man nennt diese Störung Narzissmus! Dabei wird das Ego in der Sucht nach Anerkennung als Nabel der Welt erlebt und inszeniert. In der heutigen Elterngeneration kommt sie bereits dreimal so häufig vor wie in der vergangen. In der schlimmsten Ausprägung erlebt ein Narzisst sein Gegenüber nur mehr als Erfüllungsgehilfen und als Material für die eigene Selbstbestätigung, denn zu echter Hingabe und Liebe ist er nicht mehr fähig. So treten wir dann unseren Kindern gegenüber.“ Quelle: „Wenn die Tyrannenkinder erwachsen werden“ von Martina Leibovici-Mühlberger

Von Hans Klumbies

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