Die romantische Liebe gibt es nicht mehr
Eva Illouz erwähnt in ihrem Buch „Warum Liebe endet“, wie schwer es für Partner gegenwärtig ist, zwei im Konflikt liegende „Logiken“ miteinander zu vereinbaren. Martin Hartmann erläutert: „Einerseits erfordert die Aufnahme einer Liebesbeziehung Nähe und Emotionalität. Andererseits fürchten sich vielen vor genau einer solchen Nähe und Emotionalität, weil sie mit Verletzlichkeit einhergeht.“ Vor allem Partner, die sich auf Online-Plattformen kennenlernen, trennen sich offenbar schnell. Vor allem dann, wenn eine Beziehung zu eng wird, zu viel Dichte entfaltet oder in geschützte Persönlichkeitsbereiche eindringt. Man will souverän, autonom und kontrolliert sein, gleichzeitig ist die Sehnsucht nach romantischer Liebe immer noch weit verbreitet. Mehrfach spricht Eva Illouz von einem Mangel an Vertrauen, der vor allem mit der kaum noch vorhandenen zeitlichen Tiefe moderner Liebesbeziehungen einhergeht. Martin Hartmann ist Professor für Praktische Philosophie an der Universität Luzern.
Liebende berechnen Verluste und Gewinne in ihrer Beziehung
Wie der berüchtigte Glücksflow soll die Liebe nur noch fließen und sich nicht mehr setzen. Die unausweichliche Idealisierung des anderen, die mit der klassischen romantischen Beziehung verbunden war, ist ebenfalls kaum noch möglich. Denn Unverbindlichkeit und Kurzfristigkeit bieten gar nicht mehr den sicheren Boden, der es erlauben würde, im anderen mehr zu sehen, als er ist. Wenn Vertrauen überhaupt noch eine Rolle spielt, dann als kalkuliertes Vertrauen.
Die Liebenden berechnen, welche Verluste und Gewinne mit einer Beziehung einhergehen können, und entscheiden dann, ob das Vertrauen sich lohnt oder nicht. Martin Hartmann stellt fest: „Zweifellos überspitzt Eva Illouz ihre Analyse negativ ein wenig zu und unterschätzt vielleicht die positiven Aspekte onlinegenerierter moderner Liebesbeziehungen.“ Aber vielleicht erfassen ihre Überlegungen wie auch die etwas abseitigen Berichte einen Trend, der darauf hinausläuft, dass die Menschen in vielen Bereichen gar nicht mehr vertrauensvoll sein wollen.
Die meisten Menschen besitzen ein positives Weltvertrauen
Denn sie wollen sich vor den damit verbundenen Verletzungen schützen. Diese Behauptung mag psychologisch plausibel sein, aber sie ist für Martin Hartmann nicht gerade tiefschürfend. Denn es fällt auf, dass es durchaus sinnvoll scheint, das Vertrauen mit einer großen Fülle auszustatten. Als sprechende Wesen enttäuschen Menschen Vertrauen durch Lügen – und sie lügen oft. Die Medien sind mit Fake News-Kampagnen konfrontiert und sehen sich in ihrer Glaubwürdigkeit erschüttert.
Wenn Menschen und Institutionen das eigene Vertrauen enttäuschen können, dann vertraut man offenbar genau dann, wenn man nicht glaubt, dass sie einen betrügen, belügen oder hintergehen. Viele Menschen wissen sogar, was es heißt, kein Weltvertrauen zu haben, wenn sie Berichte von Menschen lesen, die es verloren haben. Im positiven Fall dagegen kann man Weltvertrauen haben und hat es offenbar, wenn man beispielsweise ohne Angst auf die Straße geht. Quelle: „Vertrauen“ von Martin Hartmann
Von Hans Klumbies