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Vorurteile führen oft zu Ungerechtigkeiten

Systematische Zeugnisungerechtigkeit entsteht nicht durch Vorurteile an sich, sondern durch jene Vorurteile, die eine Person durch die verschiedenen Dimensionen gesellschaftlichen Handelns „verfolgen“: Wirtschaft, Ausbildung, Beruf, Sexualität, Recht, Politik, Religion und so weiter. Miranda Fricker weiß: „Wenn jemand von einem solchen verfolgenden Vorurteil betroffen ist, ist er nicht nur anfällig für Zeugnisungerechtigkeit, sondern auch für viele weitere Arten von Ungerechtigkeit.“ Die gängigste Art von Vorurteilen, die Menschen verfolgen, sind Vorurteile, die ihre soziale Identität betreffen. Miranda Fricker nennt sie also „Identitätsvorurteile“. Sie treten in positiver oder negativer Form auf: Ein bestimmter Aspekt der sozialen Identität kann eine positive oder negative Voreingenommenheit auslösen. Miranda Fricker ist Professorin für Philosophie an der New York University, Co-Direktorin des New York Institute für Philosophy und Honorarprofessorin an der University of Sheffield.

Zeugnisungerechtigkeiten darf man nicht bagatellisieren

Wenn sich Identitätsvorurteile darauf auswirken, die ein Zuhörer die Glaubwürdigkeit einer Sprecherin beurteilt, ist Identitätsmacht am Werk. Miranda Fricker erklärt: „Denn in einem solchen Fall besteht der Einfluss der Identitätsvorurteile darin, dass eine Partei oder mehrere Parteien effektiv das Handeln einer anderen Partei bestimmen. Beispielsweise werden letztere daran gehindert, Wissen zu teilen, und zwar auf eine Weise, die auf gemeinsamen Vorstellungen von den beteiligten sozialen Identitäten beruht.“

Eine Sprecherin erleidet Zeugnisungerechtigkeit dann und nur dann, wenn ihr aufgrund von Identitätsvorurteilen seitens des Hörers ein Glaubwürdigkeitsdefizit widerfährt. Miranda Fricker ergänzt: „Der zentrale Fall von Ungerechtigkeit im Hinblick auf Zeugenaussagen ist also ein durch Identitätsvorurteile bedingtes Glaubwürdigkeitsdefizit.“ Allerdings sind Ausnahmen denkbar: Es gibt Fälle von identitätsbedingten Glaubwürdigkeitsdefiziten, die keine systematische Zeugnisungerechtigkeit darstellen. Eine Zeugnisungerechtigkeit als zufällig einzustufen heißt nicht, sie in ethischer Hinsicht zu bagatellisieren.

Eine Häufung zufällige Ungerechtigkeiten kann ein Leben ruinieren

Lokal begrenze Vorurteile und die daraus resultierenden Ungerechtigkeiten können für die betroffene Person katastrophale Folgen haben, vor allem wenn sie sich regelmäßig wiederholen, sodass die Ungerechtigkeit anhaltend ist. Miranda Fricker stellt fest: „Erfolgt die Ungerechtigkeit beispielsweise im Rahmen eines – beruflichen oder sonstigen – Projekts, das für die Lebensqualität der betreffenden Person von entscheidender Bedeutung ist, kann eine Häufung von zufälligen Ungerechtigkeiten ihr Leben ruinieren.“

„Anhaltend“ bezeichnet die diachrone Dimension der Schwere und Bedeutung von Zeugnisungerechtigkeit, während „systematisch“ die synchrone Dimension betrifft. Fälle von Zeugnisungerechtigkeit, die weder anhaltend noch systematisch sind, führen im Großen und Ganzen vermutlich zu keinem großen Nachteil. Miranda Fricker fügt hinzu: „Systematische Ungerechtigkeit ist allgemein anhaltend, weil die Vorstellungen von sozialer Identität, die sich in den entsprechenden „verfolgenden Vorurteilen“ widerspiegeln, im Denken der Allgemeinheit dauerhaft verankert sind.“ Miranda Fricker stellt sich außerdem die Frage, wie es dazu kommt, dass Vorurteile seitens der Zuhörer die Glaubwürdigkeit einer Sprecherin beeinträchtigen. Quelle: „Epistemische Ungerechtigkeit“ von Miranda Fricker

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